Die Pressezeichnerin Catherine Meurisse zeichnete bereits 14 Jahre für Charlie Hebdo, als sie am 7. Jänner 2015 zu spät zu einer Redaktionssitzung kommt. Es ist der Tag des Anschlags der Brüder Kouachi auf das Redaktionsteams von Charlie Hebdo. Die beiden Brüder erschießen 12 Menschen. Es gibt zahlreiche Verletzte. Dieses Attentat löst eine internationale Welle an Solidaritätsbekundungen aus.
In dem Comic "Die Leichtigkeit" zeichnet Catherine Meurisse als Überlebende des Attentats ihr Überleben nach dem Attentat. Ein eindrucksvolles Buch, das uns LeserInnen durch seine sehr nahegehende Bildsprache möglicht macht, sich bildlich hineinzuversetzen - soweit das möglich ist - , was es heißt nach und mit einem solch traumatischen Erlebnis weiterzuleben.
Das Buch ist kein reines "Trauer"-Buch, sondern zeigt vielleicht vielmehr den Umgang mit einer schweren Traumatisierung. Die Situation von Catherine Meurisse ist nicht unbedingt mit vielen anderen Schicksalen und Geschichten zu vergleichen. Einem Anschlag gerade so entronnen zu sein, soviele Freunde und Freundinnen durch einen gewaltsamen Tod verloren zu haben. Es lässt sich nur erahnen, was in den Überlebenden vorgeht, in welchem Ausmaß dieses Trauma Besitz vom eigenen Leben nimmt. Dennoch glaube ich, dass viele andere Menschen durch den (nicht unbedingt gewaltsamen) Tod eines Menschen, der ihnen so nahe steht, verschiedenste Traumatisierungen erleben. Und damit auch einen Zugang zu den Erlebnissen und den Überlebensstrategien von Catherine Meurisse finden können.
Die Erzählung beginnt in der Nacht vor dem Anschlag. Gerade soeben hat sich die Autorin von ihrem Freund getrennt. Nach einer schlaflosen Nacht verschläfts sie morgens. Dadurch kommt sie erst während des Anschlags zu den Redaktionsräumlichkeiten.
Verspätung wegen Schlaflosigkeit auf Grund von Herzensangelegenheiten. Man sollte sich stets am Vorabend eines Anschlags trennen, der Katzenjammer entbindet dann von der Pflicht, ihm beizuwohnen. Phillip Lancon (aus dem Vorwort)
Das Attentat erlebt sie aus dem Nachbarbüro mit. Nach der Gestaltung der "Überlebenden"-Nummer verliert sie ihr Gedächtnis. Sie steht unter Polizeischutz, fühlt sich ihrer Freiheit beraubt. Albträume kehren immer wieder. Die nachfolgenden Anschläge in Frankreich retraumatisieren.
Die Autorin nimmt uns mit auf ihrem Weg, ihre Erinnerung, ihre Gefühle, ihre Lebenslust und damit auch sich selbst in einem Leben nach dem Attentat wieder zu finden.
Auf ihrem Trauerweg und in ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Traumatisierung, spielen Erinnerungen an ihre KollegInnen eine große Rolle. Es ist berührend, Einblicke in die Redaktion von Charlie Hebdo zu bekommen. Nochmal gezeigt zu bekommen, welche Persönlichkeiten die Getöteten waren. Ihre ermordeten Kollegen sind an ihrer Seite, gehen mit ins Theater, fordern sie auf Ihren Zorn wieder zu finden, um wieder zeichnen zu können. Sie lacht mit den Toten und für die Toten.
Aber es zieht sie auch zurück in die Natur, sucht Stille und Einsamkeit. Sucht friedvolle Orte auf, die Sicherheit vor Katastrophen, Vergänglichkeit und Erschütterung versprechen.
Und schließlich, und dieser Teil des Buches hat mich besonders angesprochen, geht es um die heilende Kraft der Schönheit, der Kunst. Cahterine Meurisse will sich von Schönheit überwältigen lassen, um damit auch das Trauma des Anschlags aufzuheben. Um aus dem abgestumpften Zustand wieder erwachen. Unvergängliches, zeitloses sehen. Etwas, das nicht mehr einstürzen wird. In einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass alles gekannte, geliebte implodiert und wegbricht.
"Schönheit wird die Welt retten." Dostojewski
Zu diesem Zwecke geht sie unter anderem für mehrere Wochen nach Rom, zieht durch Galerien, betrachtet alte Statuen. Die alten Kunstwerke, in denen sie vor allem Mord und Totschlag - nicht immer ganz richtig liegend - hineininterpretiert, werden für sie eine Möglichkeit sich an ihren Erlebnissen abzuarbeiten. Sie findet eine gewissene Solidarität in den traurigen HeldInnen der Antike. Sie dabei zu beobachten, macht uns LeserInnen den kräfteraubenden Weg zurück zu einer gewissen Normalität nachvollziehbar. Ihre Erinnerungen kommen wieder und mit ihnen das Vermögen empfänglich für das Schöne zu sein.
"Ist das Chaos erst gewichen, erwacht die Vernuft und ein Gleichgewicht der Wahrnehmung stellt sich wieder ein. Man sieht weniger intensiv, aber man erinnert sich, gesehen zu haben. Ich habe fest vor, wach zu bleiben, schon auf das kleinste Anzeichen von Schönheit zu achten. Jene Schönheit, die mich rettet, indem sie mir Leichtigkeit zurückgibt."
Was für mich das Buch so besonders macht, sind die Zeichnungen und Bilder, die ganze Gefühlswelten zeigen. Die uns LeserInnen auf eine ganz andere Art und Weise Zugang, Verständnis und Miterleben erlauben, als allein das geschriebene Wort das könnte. Das Titelbild des Buchs bspw. ist die erste Zeichnung, die sie 5 Monate nach dem Anschlag anfertigt. Besonders ist auch der feine Humor, der sich durch das ganze Buch zieht, uns lachen lasst, auch in Anblick des Massakers und den Folgen der Zeit danach. Wir lachen damit gegen den Terror an und in Erinnerung an die Toten. Diese gewisse Leichtigkeit, die der Humor mit sich bringt, erleichtert es auch uns LeserInnen nahe an ihrer Erzählung zu bleiben und an ihren postapokalyptischen Erleben (an)teilzunehmen.